Kotzblog

Bemerkenswertes & Schockierendes um mich herum

10. Oktober 2023

Die kurze Geschichte eines kleinen Planeten

Liebe Freunde, liebe Anwesende,

ich freue mich, dass so viele heute ihren Weg hier hergefunden haben.

Stolz und erhobenen Hauptes ließ ich den Blick über die Menge vor mir schweifen.

Es ist erreicht! Wir sind am Ziel unseres Weges angekommen und von heute an schlagen wir ein neues Kapitel auf.
Ich weiß, lange Zeit habe viele geglaubt, wir würden es nicht schaffen.

Die Blicke der Betroffenen trafen den meinen.

Auch viele von euch hier und heute hatten die Zuversicht bereits fast verloren. Aber seht euch um, ein Paradies erwartet uns, die wir mit eiserner Geduld unseren Plan über die letzten 200 Jahre verfolgt haben.

Ich zwang mich zu einem gütig wirkenden Lächeln.

Ich gebe zu, auch ich hatte immer wieder Zweifel. Besonders während der letzten 25 Jahre stand es wirklich auf der Kippe. Aber lasst mich für die, die nicht den ganz langen Weg mit uns gegangen sind, einen kurzen Abriss unseres gemeinsamen Weges geben.

Hier und da hoben sich Köpfe, während andere fast schon gelangweilt zur Seite starrten. Nicht alle der hier Anwesenden hatten den Beginn unseres Plans schon miterlebt. Außer mir waren es nur rund 100 andere, die von Beginn an dabei gewesen waren. Der Rest kannte den großen Plan nur aus der Schule oder hatte Teile davon begleitet.

Vor fast 300 Jahren begann das alles mit der Erfindung der Dampfmaschine. Die Menschen wandten sich ab vom Prinzip der Subsidiarität und entdeckten den glänzenden Schein der Massenproduktion, des Konsums, des persönlichen Reichtums. Der Dampfmaschine folgte die Kohle, dieser wiederum das Öl. Wenige Menschen wurden immer reicher, viele Menschen immer ärmer. Das Ungleichgewicht zwischen Menschen, Nationen und Hemisphären wurde normal und im Verlauf er Entwicklung immer seltener hinterfragt. Zwei weltumspannende und unzählige kleinere Kriege brachten die Menschen dahin, sich immer weniger den Themen ihrer Umwelt zu widmen. In ihrer schieren Sucht nach grenzenlosem Egoismus, den sie als Individualität maskierten, und einer nicht enden wollenden Hybris wandten sie sich schließlich der stromerzeugenden Kernspaltung zu und übersäten die Welt mit Kernkraftwerken.

Wie ihr wisst, war das die erste wirkliche Wegkreuzung für unseren Plan.

Es kamen die Autos und schnell wurden es Tausende, Zehntausende und schließlich Millionen. Nahezu überall auf dem Planeten eroberte das Benzin getriebene Auto die Herzen der Menschen und vernebelte ihren Verstand. Alternativen gerieten in Vergessenheit und später sogar in Verruf. Die Menschen wollten auf der ganzen Welt zu Hause sein. Sie fuhren Auto, flogen auch kürzeste Strecken mit dem Flugzeug. Und dann standen wir ganz unverhofft an der zweiten Wegkreuzung. Eine grüne Bewegung machte sich breit und machte sich daran, die Herzen der Menschen zu erobern.

Plötzlich wurden fossile Brennstoffe infrage gestellt, Atomreaktoren wurden zur Gefahr, das Auto und das Fliegen wurden zum Ausdruck egoistischen Verhaltens. Die Menschheit streckte ihre Hand nach der Chance aus, eine vollständige Veränderung der Ökosphäre zu verhindern. Alles Wissen war da, die Zeichen wurden überdeutlich.

Ich machte eine Pause und sah in die angespannten Gesichter unter mir. Sicher, jeder kannte das Ende meiner… unserer Geschichte, aber ich war schon immer ein leidenschaftlicher Erzähler gewesen und spürte, wie gebannt die Menge war.

Es war eine knappe Sache. Die meisten von euch ahnen nicht, wie knapp es wirklich war. Wir gingen Risiken ein. Es waren Risiken, von denen einige unter uns sie nicht eingehen wollten.

Doch wir… ich und meine Kampfgenossen, wir setzten uns durch. Es wurde ein Hindernislauf und bis ganz zum Schluss schien das Rennen offen.

Aber hier stehen wir nun! Wir haben es den Kritikern in unseren Reihen bewiesen. Wir haben gesiegt.

Einmal mehr ließ ich den Blick über die Menge schweifen, in den Gesichtern zeigte sich Euphorie.

Seid versichert, jetzt ist nicht die Zeit für Revanchismus, noch wird es künftig eine solche Zeit geben. Ich werde nicht auf die zeigen, die gezweifelt haben, die aufgeben wollten. Ich schaue nach vorn und möchte, dass wir das alle tun. Eine ganze Welt liegt uns zu Füßen. Wir können und wir werden von vorn anfangen.

Aus der Euphorie wurde lautes Jubeln und ich hob meinen Blick, schaute zu einem nicht sichtbaren Punkt. Ein breites Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.

Ich weiß”, hob ich an, „ihr wenigen, die ihr noch übrig seid, schaut in diesem Moment unseres Triumphes zu. Lasst mich euch sagen, ihr hattet es in der Hand, ihr hättet es schaffen können. Doch es ist anders gekommen. Ihr habt es nicht vermocht. Ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, liegt nicht in eurer Natur. Stattdessen habt ihr bis zum bitteren Ende zänkische Kleinkriege ausgefochten, habe euresgleichen hingemordet, verhungern und verdursten lassen. Letztlich habt ihr eben das getan, was ihr uns vorwerft, ihr habt euren Planeten zerstört.

Doch, was des einen Leid, ist des anderen Freud. Was ihr Zerstörung nennt, heißen wir Neuanfang.

Ich richtete meinen Blick auf eine kleine Gruppe direkt vor der Bühne.

Und nun möchte ich, dass ihr, die ihr bis zum Schluss für unseren Traum an vorderster Front gekämpft habt, hier nach oben kommt zu mir. Lasst uns gemeinsam die Last der verflossenen Jahre ablegen und frohgemut in die Zukunft schreiten.

Etwa dreißig der Angesprochenen setzten sich in Bewegung und erklommen die breite Bühne.

Mit meiner linken Hand zeigte ich auf den nahezu unsichtbaren Punkt in der Mitte der riesigen Halle, dort wo das Auge derer schwebte, die nicht mehr sind.

Entbieten wir denen, die uns in unserem Triumph jetzt hilflos zuschauen einen letzten Gruß, denn schon bald werden auch sie gegangen sein. Legen wir nun die Haut ab, die wir so unglaublich lange tragen mussten.

Irgendwo in der Ferne keuchten die wenigen auf, die übrig geblieben waren. Sie sahen die Gesichter und Körper ihrer früheren Idole. Donald Trump, Xi Jinping, Mohammed bin Salman al-Saud, Vladimir Putin und viele weitere.

Der Sprecher griff sich über die Schulter an den Hinterkopf, wie es gleichzeitig mit ihm auch alle anderen auf der Bühne taten.

Grinsend streifte sich Markus Söder sein Menschkostüm vom Körper, während vor der Halle zwei weitere Untertassen unter dem Lärm der von ihnen verdrängten Luftmassen im flimmernden Licht der fast 50°C heißen Luft landeten.

cheffe

cheffe

Geboren in Berlin - Aufgewachsen, Schule und Uni in in Berlin -Job in Berlin - Berliner eben! HomeOffice mit Blick auf die Straße. Unterwegs im Kiez. Oft ratlos über meine Mitmenschen.

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